Die Gaelen haben einen reichen Fundus an Tierfabeln, in denen sie ihr Weltbild und ihre Moralvorstellungen kodiert und somit festgeschrieben haben. Die abendliche Geschichtenrunde gehörte bei den Stämmen zum täglichen Ritual. Hier wurden Geschichten erzählt, die zu aktuellen Problemen des Stammes passten, und den Kindern wurde erklärt, wie die Fabeln in diesem Zusammenhang zu deuten seien.
Dabei herrscht in den Fabeln eine diffuse Mischung zwischen echtem Weltwissen über Kilkhian, Lebenserfahrung, Verehrung diverser Visha als Götter und von den Shedali übernommenen Geschichten vor. Einige Komplexe sind davon sehr stark betroffen, andere weniger. Zu letzterem gehört der Komplex der Fuchs-Dachs-Geschichten, dessen Anfangsgeschichte ich hier kurz erzählen und erläutern möchte:
Dachs war auf der Suche nach Würmern, als Fuchs des Weges kam.
"In meinem Bau gibt es Fleisch", sagte Fuchs. "Sei mein Gast."
"Gerne", sagte Dachs und folgte Fuchs zu seinem Bau am Rande des Waldes. Dort aßen sie das ganze Fleisch auf, bis ihre Bäuche dick und voll waren.
"Wann darf ich denn dein Gast sein?", fragte Fuchs nach dem Essen. "Ich habe dich eingeladen und bewirtet, nun musst du es mir vergelten."
"Deine Auffassung von Gastfreundschaft ist sehr befremdlich", gab Dachs zurück. "Ich habe dich um nichts gebeten und bin keine Verpflichtung eingegangen. Du bist unhöflich."
Fuchs sprang ärgerlich auf. "Nein, du bist unhöflich! All mein Fleisch hast du gegessen -"
"Nur die Hälfte, die andere ist in deinem Bauch", unterbrach ihn Dachs, doch Fuchs hörte nicht.
"- und meinen Bau hast du ganz unordentlich gemacht -"
"Das waren wir beide", unterbrach Dachs ihn abermals, doch wieder hörte Fuchs nicht zu.
"- und nun tust du nichts zum Ausgleich! Scher dich aus meinem Bau und komm mir nie wieder unter die Augen, sonst werde ich dich beißen!"
Dachs fügte sich und ging zurück in seine Höhle im Herzen des Waldes, wo er seinen vollen Bauch ausruhte.
Doch Fuchs hatte ihm an jenem Tag die Feindschaft geschworen.
Viele Geschichten der Gaelen lassen Dachs und Fuchs aufeinandertreffen. Dabei steht der Dachs Nàru stets für das Gute, also für die Gaelen oder auch für die Welt an sich (also Kilkhian, in den Sprachen der Gaelen Nàranu oder auch Gael); der Fuchs Diyi dagegen steht für alles Zwielichtige oder Böse wie etwa die Shedali bzw. die Kainanmarivölker im Allgemeinen oder auch für Dilwan (auf Dayed Dilua).
Welche Rolle in den Tieren kodiert wurde, ist nicht immer so klar zu erkennen wie in dieser ersten Begegnung von Dachs (Gaelen) und Fuchs (Shedali), bei der es zu massiven Kulturkonflikten kommt, die letztlich in Feindschaft resultieren.
Als weitere Figuren der gaelenschen Fabelwelt wurden folgende Visha und Völker kodiert:
Die Fabelkodierung der Tiere hatte großen Einfluss auf die Alltagssprache der Gaelen. Da sie das "sh" in "Shedali" nicht aussprechen konnten, wurde das Volk in Anlehnung an Diyi den Fuchs kurzerhand in "Diyedali" oder "Diyidali" umbenannt, ebenso wurde mit den Šyukai verfahren (Diyiukar), wobei sich das recht bald zu "Yukar" verschliff.
"Jemand fliegt mit den Schwänen" ist eine Umschreibung für den Tod einer Person.
Die Šyukai werden aufgrund ihrer Verbindung zu Dilwan "Wölfe aus dem Süden" oder auch "Wölfe des Wolfs" genannt.
Dass auffallend viele Vögel als positive Figuren kodiert sind, hat dazu geführt, dass der Verzehr von Eiern bei den godvyonschen Gaelen verboten ist. Einzig Eier, die einem anderen Wesen abgejagt wurden (z.B. einem als unrein geltenden Marder), dürfen gegessen werden. Die Jagd auf Vögel ist nur im Winter gestattet, und dort bleiben die oben erwähnten Vögel als heilig ausgenommen (der Verzehr von Lachsen und Hirschen ist dagegen erlaubt...). Der Ruf des Kirei wird von den Gaelen als Schlachtruf imitiert.
Auf auf persönlicher Ebene wurde die Kodierung der Fabelwesen beibehalten. So wurde Narayil, Sohn von Königin Liyara, von seinen Halbgeschwistern wegen seines shedalischen Vaters Díal gerne als "Füchslein" (diyi eyil) bezeichnet. Nachdem er im Kampf Khirlik, den jüngeren Sohn des Drachenvaters Kishéals, getötet hatte, nannte er sich selbst "Dachs" (nàru), um so seine Verbindung zu Kilkhian zu erneuern bzw. nach außen zu demonstrieren.
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