Das Lichterfest ist bei den Shedali und Yindw bekannt und wird mehr oder weniger ausgiebig gefeiert. Am wichtigsten jedoch ist es zweifellos bei den Yindw in Yador, denn hier stellt es den Gegenpunkt zu dem anderen großen Fest im Jahreslauf dar: dem Mittsommer. Daher wird an dieser Stelle die Feier auf der Insel Anorivrin beschrieben.
Auch auf Anorivrin feiern wir jedes Jahr Lichterfest, dann liegt für acht Tage der Schulbetrieb still - zwei Tage für die Vorbereitung, fünf für das Lichterfest und einen hinterher zum Ausschlafen und Aufräumen. Schließlich ist für uns auf dieser nördlichen Insel die Dunkle Zeit besonders lang, und durch die Winterstürme auch besonders bitter - die Unmengen von Schnee, die oft schon einen Monat vor Lichterfest fallen, will ich hier gar nicht erwähnen. Einzig auf den beiden Nordinseln Anadra und Kiyra ist das Lichterfest wohl noch wichtiger als hier, denn auf diesen beiden Eilanden geht die Sonne im Winter für einen ganzen Monat nicht auf.
Das Lichterfest selbst nun beginnt am Vorabend des Dunklen Tages, der deswegen Vortag genannt wird; dies ist der 19. oder 20. Dezember. Vorher werden alle Gebäude geschmückt, meist mit Elfenbeerzweigen und aus Stroh geflochtenen Figuren. Am Abend kommt man bei reichlichem und gutem Essen zusammen. Für uns auf Anorivrin bedeutet das meist Lammbraten und geräucherter Fisch anstelle des sonst üblichen Eintopfes oder Salzfisches, auch wird gut getrunken - der Met aus Kari wird zu diesem Zweck bereits im Herbst in großen Fässern zu uns gekarrt. Alte Geschichten werden erzählt und neue erfunden, Lieder werden gesungen, es wird getanzt und gefeiert, und oft findet an diesem Abend auch so manche Verlobungsfeier statt.
Der zweite Tag des Lichterfestes ist der Dunkle Tag, also der Tag im Jahr, an dem die Sonne am wenigsten zu sehen ist. Hier auf der Bardenschule kriecht sie bei klarem Wetter gegen Mittag für eine knappe Stunde über den Horizont und schleicht dann wieder zurück. Hell wird es dabei nicht; lediglich der rote Dämmerungsschimmer erreicht uns. Wenn dann Schnee liegt, glüht die Insel und das Festland jenseits der Meerenge für diese Zeit wie aus Gold und Feuer gemacht, doch meistens haben wir zum Lichterfest Schneestürme, so dass dieser Anblick selten ist. Am Dunklen Tag wird nicht gefeiert und nicht gesungen, auch gesprochen wird nur wenig. Es ist ein Tag der Besinnung und der Ruhe, und auch der Trauer für die, die seit dem letzten Lichterfest gestorben sind oder uns anders verlassen haben.
Der Kehrtag ist der dritte Tag des Festes, also der erste, an dem die Sonne wieder länger zu sehen ist als am vorhergehenden Tag. Dementsprechend wird er mit einem fröhlichen Fest schon beim Frühstück begonnen. Kinder erhalten an diesem Morgen Geschenke von ihren älteren Verwandten und voneinander; die Herren eines Hauses bereiten das Essen für Mägde und Knechte und sind ihnen den ganzen Tag zu Diensten; die Tiere haben an diesem Tage frei (so werden etwa Pferde nicht geritten oder eingespannt, und es darf auch kein Tier getötet werden), und dies sind nur einige Besonderheiten des Kehrtages. Wenn die Sonne den Himmel nach dem Mittag verlassen hat und es wieder Nacht geworden ist, werden in den Häusern unzählige Lampen und Lichter entzündet, an die Fenster gestellt und in den Räumen verteilt. Für jeden Bewohner des Hauses, Hofes oder Dorfes muss mindestens ein Licht entzündet werden - auf den Höfen des Festlandes bedeutet dies wahre Arbeit, denn auch Haustiere und Vieh sind ja Bewohner des Hofes. Am Kehrtag geht niemand schlafen, sondern es wird die Nacht durchgefeiert.
Am nächsten Morgen, am Nachkehrtag, ist es Zeit, dass auch die Erwachsenen von ihren Kindern und voneinander Geschenke erhalten. Zum höchsten Sonnenstand singt man Lieder an die Sonne, die Götter und das Licht, und dann ist meist auch der Letzte so erschöpft, dass er schlafen gehen möchte nach der durchwachten Kehrtagsnacht.
Der letzte Tag des Lichterfestes ist der Letzttag oder auch Freundstag. An diesem Tag werden alle Feindschaften und Streitereien der letzten Zeit beigelegt. In einigen Gegenden Yadors geschieht dies öffentlich in einer Dorfsversammlung, hier auf Anorivrin sorgt jeder selbst dafür, dass er mit sich und seinen Mitmenschen ins Reine kommt. Nicht selten werden hierbei noch weitere Geschenke als Versöhnungsgeste ausgetauscht. Der Freundstag ist ein ruhiger, besinnlicher Tag, doch beiweitem nicht so finster und bedrückend wie der Dunkle Tag.
Der Letzttag ist außerdem der letzte Tag des alten Jahres, denn nach dem Lichterfest beginnen wir ein neues Jahr. In Godvyon etwa ist dies anders, denn dort beginnt das Jahr mit der Tagundnachtgleiche im Frühjahr, wenn das Leben wieder erwacht und alles bald anfangen wird zu wachsen. Für uns hier im Norden jedoch ist das Licht fast noch wichtiger als die Pflanzen, und so ist für uns das Lichterfest wichtiger als das Frühlingsfest.
Falls du ein bißchen mitfeiern willst, sage ich dir kurz, wie du echte yadorische Lichterfestkekse backen kannst - nun ja, fast echte yadorische Lichterfestkekse. Ich habe das Rezept so abgewandelt, dass du es mit den Dingen machen kannst, die dir zur Verfügung stehen.
Dazu vermengst du:
500g Weizenmehl mit
500g braunen Zucker,
2 Teelöffeln Ingwer und
je 1 Teelöffel Backpulver, Natron, Nelkenpulver und Zimtpulver.
Dann fügst du:
250g Margarine und
2 Eier hinzu und knetest die Masse gut durch.
Am besten fängst du jetzt bald an, den Backhofen vorzuheizen:
etwa 200° sollten es schon sein.
Aus dem Teig formst du Rollen und schneidest von ihnen dünne
Scheiben ab, die du auf ein Backblech legst - das Blech vorher
einfetten oder mit Backpapier bedecken!
Dann schiebst du die Kekse für etwa 10 Minuten in den Ofen, bis
sie goldbraun gebacken sind. Am besten bewachst du deinen Ofen
bei der ersten Keksladung und schaust auf die Uhr, denn mit
Zeitangaben ist es ja etwas problematisch. Diese Kekse verbrennen
relativ rasch, und dann sind sie wirklich ungenießbar.
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