Eğrik Dayilkishal

Eğrik der Drachenherr

9: Die Suche beginnt

Am nächsten Morgen verabschiedete sich Kishéal von den Drachen und von Eðrik, und als er sich im Licht der aufgehenden Sonne von der weiten Wiese erhob und gen Osten davonflog, verdunkelte sein riesiger Körper für eine kleine Weile den anbrechenden Tag, so dass die Vögel, die gerade ihren Morgengesang begonnen hatten, verwirrt wieder schwiegen.

Eðrik und die Drachen frühstückten von dem Wild, das Kalém in den Waldgebieten der Insel erlegt hatte, und danach schaute der Mann seine geflügelten Freunde an und sagte: „Ich bin bereit.“

„Gut“, gab Awnkledan zurück und reckte sich ausgiebig in der Wärme der Sonne, „ich auch, es kann losgehen.“

„Dann wünschen wir euch viel Erfolg“, erklang die sanfte Stimme der Goldenen, „und einen guten Flug.“

„Werdet ihr denn nicht mit uns kommen?“, fragte Eðrik.

„Nein“, antwortete die Goldene, „Kalém und mir liegt nichts daran, nach Grünblaus Liebster zu suchen. Wir warten hier auf Kaléms Bruder, und dann werden wir zurück nach Westen fliegen.“

„Viel Glück bei der Suche, Grünblau“, grummelte Kalém, aber seine grünen Augen blitzten freundlich auf.

„Nun gut, dann werden ich und mein Bruder Zweibein eben alleine die Inseln durchsuchen“, erklärte Awnkledan mit mutig blitzenden stahlblauen Augen, doch Eðrik konnte sehen, dass seinem Freund nicht ganz so zumute war. Dennoch verabschiedete sich das ungleiche Paar herzlich von den beiden großen Drachen und nahm von ihnen einige gute Ratschläge entgegen als Abschiedsgeschenk. Dann erklomm Eðrik Awnkledans Rücken, und der grünblaue Drache warf sich in den Wind und stieg empor in den Himmel, den Kurs gesetzt auf Südost.

Eðrik hatte sich inzwischen an den Flug hoch über der Erde gewöhnt und schaute nach unten, bis Kalém und die Goldene nur noch verschwommene Flecken auf dem Grün der großen Insel Aylinn waren, und schließlich ließen sie auch Aylinn hinter sich. Da ließ er seinen Blick wandern über die zahllosen kleinen Inseln und Inselchen und Klippen, die vor ihnen lagen, denn gleich nach Aylinn beginnt das Inselreich Shridanor.

„Auf irgendeiner dieser Inseln muss sie sein“, rief Awnkledan über seine Schulter hinweg, „das hoffe ich wenigstens. Denn wenn sie hier nicht ist, dann ist sie im südlichen Inselreich, und dort kenne ich mich nicht gut aus – die Sterne sind fremd und unfreundlich dort.“

„Aber vielleicht finden wir sie ja“, rief Eðrik zurück, um seinen Freund zu beruhigen.

Awnkledan, der übermütig zunächst hoch in die Lüfte gestiegen war, ließ sich nun herabsinken, um einen besseren Blick auf die Landflecken inmitten des Meeres werfen zu können. „Sie ist etwa so groß wie ich“, sagte er Eðrik, „und von dunkelblauer Färbung, aber an den Rändern ihrer Schuppen ist Silber.“

„Sie muss sehr schön aussehen“, befand Eðrik, und in Awnkledans Auge, das zu ihm nach hinten schielte, sah er Freude über dieses Lob.

„Das tut sie“, antwortete der Drache. „Halt Ausschau nach ihr!“

„Das werde ich“, gab Eðrik zurück, „aber bedenke, dass selbst die Falken auf eure Augen neidisch sind, und die sehen vieles, was unseren kleinen Menschenäuglein entgeht.“

Awnkledan lachte, dass sich Eðrik erschrocken an seinen Flügeln festkrallte. „Du wirst schon noch sehen, dass deine Augen so schlecht nicht sind.“

Sie flogen langsam und niedrig über die unbewohnten Inseln hinweg. Wenn Awnkledan Weiden oder Häuser oder Schiffe sah, stieg er rasch höher, um die Menschen nicht zu erschrecken; danach jedoch sank er immer wieder herab, um besser sehen zu können. Der Wind blies noch immer von Norden, doch nun war er eine Hilfe, denn Awnkledan glitt auf ihm friedlich dahin und musste kaum mit den Flügeln schlagen.

Es war ein Rätsel für Eðrik, wie sie auf diesen unzähligen Stückchen Land im blauen Meer einen einzelnen, nicht einmal großen blauen Drachen ausmachen sollten. Und so verlief ihre Suche an diesem ersten Tag auch erfolglos, und als die Sonne rot im Westen im Meer versank, glitt Awnkledan über eine einigermaßen große Insel, auf der er einen kleinen Bach erspäht hatte, landete und ließ Eðrik absteigen.

„Das Glück scheint es diesmal nicht gut mit uns zu meinen“, seufzte Eðrik und reckte seine vom langen Sitzen und Festhalten steifen Glieder.

„Noch nicht“, antwortete Awnkledan.

Dann aß Eðrik den Rest von dem Wild, das er am Morgen in die Tasche gesteckt hatte, während Awnkledan sich zusammenrollte und einschlief. Eðrik aber hatte den ganzen Tag still auf dem Rücken seines Freundes gesessen und war noch nicht müde, und so begann er, die kleine Insel zu erkunden, nachdem er sich in dem kleinen Bach gewaschen hatte.



Die Insel thronte auf steilen Klippen über dem Meer, und nur an der Südseite glitt sie sanft hinunter zu einem schmalen Sandstreifen, an dem Eðrik ein paar Krebse fing, um sie am nächsten Morgen zu essen. Dann jedoch verließ er den Strand wieder, denn die Flut kam herein und fraß mehr und mehr Land.

In der Mitte der Insel befand sich ein kleines Waldstück, umgeben von weiten Wiesen und Geröllfeldern. Eðrik beschloss, das Wäldchen etwas näher zu untersuchen, da er hoffte, darin ein paar Beeren oder Früchte zu finden, um sein Krebsfrühstück abwechslungsreicher zu machen. So drückte er sich im Mondlicht durch die ersten Zweige des Waldes und schlich so leise, wie es nur ging, einen Wildpfad hinein ins Dickicht.

Er war erst ein kleines Stück gegangen, als vor ihm auf einmal das Unterholz knackte, und ehe er wusste, wie ihm geschah, stand auf einmal ein Tegwin vor ihm und funkelte ihn unter seinen grauen Zottelhaaren her unfreundlich an.

„Wind auf deinem Weg“, grüßte Eðrik, denn er war so verdattert von der plötzlichen Begegnung, dass er versehentlich den Gruß der Drachen benutzte statt einen der Menschenvölker.

Der Tegwin antwortete nicht, sondern musterte ihn einen Augenblick. „Gib mich dis da!“, befahl er dann und deutete auf die Krebse, die Eðrik auf einer Schnur aufgezogen über der Schulter trug.

Eðrik schüttelte den Kopf und antwortete: „Das ist mein Frühstück für morgen. Geh doch an den Strand und hol dir selbst welche.“

„Gib mich dis da!“, wiederholte der Tegwin mit listigem Blick. „Ich hab Knüppel!“. Damit zog er hinter seinem Rücken einen dicken Ast hervor.

„Ich hab ein Messer“, antwortete Eðrik, nun langsam gereizt.

„Und ich hab Frau mit Knüppel hinter dich!“

Eðrik schielte über die Schulter und sah einen zweiten Tegwin nur wenige Schritte hinter sich stehen. „Und ich hab einen Freund, der auf mich wartet“, gab er dann zurück, „und wenn ich nicht gleich da bin, kommt er her, dann habt ihr es mit zweien zu tun.“

Der erste Tegwin schaute für einen Moment verunsichert zum zweiten und gab dann zurück: „Jetz is aber nieman hier außer du. Gib mich dis, sofort! Ich hab Kinder in Höhle, die sin schon groß!“

„Und ich hab einen zwanzig Mann langen Drachen auf der Wiese mit dem Bach“, sagte Eðrik, dem das Spiel langsam zu bunt wurde.

Der Tegwin kicherte spöttisch.

„Ich meine es ernst,“ drohte Eðrik. „Wenn ihr mir die Krebse nehmt, holen wir sie zurück.“

„Laufen wir weg“, erklärte der Tegwin überlegen.

„Wohin denn? Das hier ist eine Insel. Oder wollt ihr wegschwimmen, weg von eurer Höhle?“

„Wette, da is kein Drache nich auf der Bachwiese, also gib uns dis“, sagte die Tegwinfrau hinter ihm und lachte.

„Wette, sie hat Recht“, sagte ihr Mann vor Eðrik und lachte ebenfalls.

„Das hat sie, ich bin nämlich hinter euch“, erklang da Awnkledans tiefe Stimme hinter dem Dickicht neben ihnen, und als Eðrik den Kopf drehte, sah er das Gesicht seines großen Freundes durch die Dornen blinzeln. Und als er sich wieder den Tegwins zuwandte, waren sie verschwunden.

„Komm, Bruder Zweibein“, sagte Awnkledan, „du solltest es besser wissen, als dich mit solchem Gesindel herumzutreiben.“ Dann lachte er donnernd, und er und Eðrik gingen zurück zur Wiese, wo Awnkledan seinem Freund ein Feuer entzündete, und dort verbrachten sie die Nacht. Am nächsten Morgen aß Eðrik seine Krebse, und dann verließen die beiden Freunde die Insel mit den ungastlichen Einwohnern, um weiter nach der blausilbernen Drachin zu suchen.


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