Eğrik Dayilkishal

Eğrik der Drachenherr

6: Die Pfade des Himmels

Die Drachen gönnten Eðrik nur eine kurze Rast, denn schon früh am nächsten Morgen weckte Awnkledan ihn sanft und entzündete ein Feuer, damit Eðrik die Fische braten konnte, die sein Drachenfreund ihm gefangen hatte. Doch nach dem Essen drängte Kalém sofort zum Aufbruch.

„Ein schwieriger Weg liegt vor uns“, knurrte er, „und Warten macht ihn nicht einfacher.“

„Ihr kommt mit uns?“, fragte Eðrik erfreut. „Dann muss es ja eigentlich gelingen.“

„Eigentlich“, gab Kalém zurück und schwang sich in die Luft, gefolgt von der Goldenen, die ebenso geschwinde an Höhe gewann wie der Drachenfürst. Eðrik schwang sich rasch auf den Rücken seines grünblauen Freundes, und so führten sie ihren langen und schweren Flug nach Osten fort.

Sie flogen auch nachts, denn zwischen dem Festland und dem Inselreich gibt es keinen Ort zum Rasten. Grün spannte sich der Wasserteppich unter den Reisenden, langsam wogend, von den goldenen Sonnenstrahlen der Abendsonne verziert und geheimnisvoll glitzernd. Der Hunger stahl sich in Eðriks Magen, doch noch war kein Land in Sicht, das auch nur für einen der drei Drachen groß genug zum Rasten gewesen wäre. Er spürte, wie Awnkledan unter ihm von Augenblick zu Augenblick müder wurde. Er hatte schon leicht an Höhe verloren, und die beiden anderen waren höflich genug gewesen, dies zu ignorieren und ihm auf seinem stetigen Weg abwärts zu folgen. Das Auf und Ab seiner Schwingen wurde immer mühsamer, und die schon die sanften Brisen, die jetzt am Abend auffrischten, drohten, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen.

„Wie weit ist es bis zu der Insel, von der du gesprochen hast, Goldene?“, schrie Awnkledan schließlich der etwa zwanzig Mann links neben ihm fliegenden Drachin zu.

„Sie sollte bald zu sehen sein“, antwortete sie, „wir sollten sie schon lange sehen können.“

„Seltsame Wege sind es, auf denen der Wind uns in letzter Zeit führt“, knurrte Kalém rechts von ihm. „Erst betrügt er Grünblau und das Zweibein, jetzt spielt er uns einen Streich und drängt uns viel zu weit nach Süden. Ich habe es dir vorhin schon gesagt, Goldene - wir sind zu weit nach Süden geflogen.“

„Aber das ist unmöglich!“, widersprach die Drachin gereizt. „Es weht doch kaum ein Lüftchen!“

Darauf schwieg Kalém und stieg empor, um eine bessere Sicht über das vor ihnen liegende Meer zu erlangen. Awnkledan schnaufte, wobei ihm eine kleine Flamme aus dem Maul schoss. Die Goldene sah besorgt zu ihm hinüber.

„Geh hinunter aufs Wasser, Grünblau!“ rief da Kalém, während er seine Flügel anlegte. „Ich werde deinen Reiter übernehmen.“ Damit war er auch schon an ihnen vorbei gefallen, spreizte die Flügel erst wenige Mann über der Wasseroberfläche und ließ sich auf die ruhige See hinab.

Awnkledan folgte ihm, jedoch langsamer aus Rücksicht auf Eðrik, dessen Magen ihm dennoch in den Hals zu rutschen schien. Auf den sanften Wogen angekommen, legten die beiden Drachen ihre Flügel eng an die Körper und schwammen dicht zusammen, so dass Eðrik nahezu trocken auf Kaléms breiten, schwarzen Rücken klettern konnte. Dann öffnete der Fürst der Drachen kraftvoll seine Flügel, fing die warme Luft darunter ein und schwang sich empor. Awnkledans Start sah mühsamer aus, und er fand nur schwer die Höhe, die Kalém ihm vorgab.

„Niedrig fliegen hilft nicht, Grünblau!“ sagte Kalém, wobei seine Donnerstimme ungewohnt sanft klang. „Oben fliegt es sich leichter, glaub mir.“

„Ich bin müde“, knurrte Awnkledan, dann wandte er den Kopf nach vorne und sprach nicht mehr.

„Steig ein wenig“, bat Eðrik leise, und mit einem leisen Grollen tat Kalém, worum er gebeten hatte.

„Was gibt es?“, raunte der Drachenfürst.

„Ich wollte nicht, dass er es hört, aber vielleicht sollten wir den Plan aufgeben, auf die Ostinseln zu reisen.“

„Warum?“

„Warum?“, rief Eðrik aus. „Du siehst ihn doch, Kalém! Er kann nicht mehr! Die kurzen Rastzeiten, die er auf den Klippen und Schären findet, reichen ihm nicht.“

„Sag mir nicht, was mein Volk braucht!“, knurrte Kalém. „Aber wir sind jetzt schon beinahe die Hälfte der Strecke geflogen; Umkehren ist zwecklos.“

„Kalém, wenn seine Liebste so alt ist wie er und alleine nach Osten geflogen ist … Sie wird den weiten Weg kaum geschafft haben, oder?“

„Sobald wir eine Insel finden, die etwas Futter und Wasser für dich bietet, werden wir dort einige Tage rasten“, wich der Drache der Antwort aus.

Betrübt senkte Eðrik den Kopf. „Armer geflügelter Bruder.“

„Es ginge ihm besser, wenn er nur seinen eigenen Körper in der Luft halten müsste, vergiss das nicht! Seine Liebste hatte nur sich selbst zu tragen, und wenn sie mehr Glück hatte als wir, war der Wind freundlicher.“

„Also muss er wegen mir leiden“, seufzte Eðrik. „Kalém, das ist nicht gerecht! Ohne mich würdet ihr einfach auf einem Felsen ruhen, aber weil ich essen muss, geht das nicht, und mein Gewicht zehrt seine letzten Kräfte auf.“

„So ist es nun einmal, Zweibein. Er hat darauf bestanden, dich mitzunehmen. Ein törichter Gedanke, den ich nicht gebilligt habe, und nun sehen wir ja, was er und auch Goldene und ich davon haben.“

„Überflüssige Last“, sagte Eðrik leise.

Der Drache schielte aus seinen schwarzen Augen nach hinten. „Mach dir nichts draus, Zweibein“, grollte er schließlich freundlich, „ich habe schon Drachen getroffen, mit denen ich es schlechter ausgehalten habe als mit dir. Denk nur an den Ausgestoßenen vom Irdena.“

Damit sank er sanft hinab auf eine Höhe mit den beiden anderen Drachen. Die Goldene sah ihn kurz an, doch keiner sagte etwas. Nur Awnkledan keuchte bei jedem Atemzug. Das stetige Auf und Nieder von Kaléms mächtigen Schwingen war einschläfernd, und die Sonne versank langsam hinter dem Horizont.

Kaléms Donnergrollen ließ Eðrik hochschrecken. „Da vorne sind zwei Klippen!“

„Da haben wir nie im Leben Platz drauf“, schnaufte Awnkledan.

„Du und die Goldene, ihr rastet auf den Klippen. Ich fliege mit dem Zweibein voraus und warte auf der nächstgrößten Insel auf euch.“

„Wir könnten uns verfehlen“, warf die Goldene ein. „Wenn der Wind uns weiterhin betrügt…“

„Soll er doch, wenn er denn so will! Falls er es tut, treffen wir uns in meiner alten Höhle auf Aylinn.“ Damit ließ er seine Schwingen scharf in die Luft schneiden und überholte die beiden anderen Drachen.

„Auf bald, mein lieber Bruder Drache!“, rief Eðrik über seine Schulter hinweg.

Awnkledan stieß nur ein Krächzen aus, zu erschöpft, um zu reden, und ließ sich taumelnd auf eine der Klippen hinabsinken.

„Mir gefällt das nicht“, keuchte er, als die Goldene auf die andere Klippe hinabstieß. „Wir gehören zusammen, und Kalém …“

„Er wird ihm schon nichts tun“, sagte die Goldene ruhig. „Jetzt schlaf. Morgen fangen wir uns ein paar Fische.“


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