Eğrik Dayilkishal

Eğrik der Drachenherr

5: Am feurigen Berg

Eðrik erwachte vom wehmütigen Schrei der Möwen, die über die donnernden Wellen des aufgepeitschten Meeres glitten. Er reckte sich müde und gähnte. Seine Knochen schmerzten vom Schlaf auf den rauen Felsen in der kalten, feuchten Luft, und er war unglaublich hungrig. Awnkledan lag hinter ihm, halb aufgerichtet auf den Vorderbeinen, und starrte auf den Berg, der in der Dämmerung dunkelrot glühte. Der flackernde Wiederschein des Feuers, das aus der Spitze des Berges quoll, spiegelte sich auf dem brodelnden Wasser und erhellte den Himmel wie ein zuckender, nie zu Ende gehender Sonnenaufgang.

Eðrik erhob sich mühsam und rieb die Druckstellen auf seinem Körper, während er zu Awnkledans Kopf ging.

„Guten Morgen, geflügelter Bruder.“

Der Drache drehte langsam seinen Kopf und sah ihn aus seinen tiefen, unergründlichen Augen an, die von einem stumpfen Grau waren. „Morgen ist es, Bruder Zweibein, doch über den Rest bin ich mir nicht im Klaren“, sagte er nach einer Weile. Dann wandte er sich wieder dem feurigen Berg zu. Eðrik ließ sich auf den porösen Fels hinab und setzte sich neben den Drachen. Schweigend starrten beide eine Weile in das Feuer, während der Berg Aschewolken ausstieß, die vom immer noch hart wehenden Nordwind von ihnen fort in Richtung Süden geblasen wurden. Schließlich wandte sich Eðrik erschaudernd ab und betrachtete stattdessen den Sonnenaufgang, der in der von Rauch erfüllten Luft seltsam blutig und krank aussah.

„Dies ist kein Platz für Zweibeiner, mein Freund“, sagte er zu Awnkledan, der noch immer bewegungslos den Berg anstarrte. „Meine Kehle ist so trocken wie die Asche aus dem Berg, die überall auf meinem Körper klebt.“

Der Drache zwinkerte und drehte ihm den Kopf zu. „Glaub mir, kleiner Bruder, auch ich habe mich schon besser gefühlt, als ich mit meiner Gefährtin über die Ebenen von Godvyon geglitten bin und im Großen Fluss gebadet habe.“

„Warum verlassen wir dann nicht diesen Ort? Dies ist kein Platz für Sterbliche!“

Wie um ihn zu bestätigen, wankte plötzlich der Boden unter ihren Füßen, so dass Eðrik den Halt verlor und gegen Awnkledans Flanke prallte. Ein gewaltiger Feuerstrahl schoss aus dem Maul des Berges, begleitet von schwärzestem Rauch und kleinen Felsbrocken, die durch die Luft wirbelten und auf Awnkledans Rücken prallten, wo sie knirschend von den harten Schuppen kullerten. Schnell spreizte der Drache einen Flügel, um Eðrik zu schützen, der sich fest an ihn presste.

„Bitte, geflügelter Bruder, lass uns hier verschwinden!“ schrie Eðrik, um den Lärm zu übertönen.

„Das solltet ihr wirklich“, erklang hinter ihnen eine Stimme wie heißes Eisen, das zischend in den Wassertrog getunkt wird.

Beide, Mann und Drache, fuhren überrascht herum. Geschützt durch den Lärm war ein Drache hinter ihnen gelandet, halb im Meer, ein großer graugrüner Körper mit seltsam blassen Flügeln, die er halb ausgebreitet von sich streckte.

Awnkledan senkte den Kopf und sprach den fremden Drachen in der ruhigen, klangvollen Sprache der Drachen an, doch der Fremde antwortete nicht. Wortlos drückte Awnkledan Eðrik mit seinem Flügel noch enger an sich und stupste ihn an der Schulter an. Müde wie er war, hatte Eðrik Schwierigkeiten, den Rücken des Drachen zu erklimmen, doch schließlich hatte er es geschafft, und langsam öffnete Awnkledan seine Schwingen, durch deren dünne Haut das feurige Licht des Berges schimmerte. Dann fing er den Wind ein, und warf sich in die Luft.

War Eðrik der letzte Flug lang und kräftezehrend vorgekommen, so erschien ihm dieser wie eine Reise ins Schattige Land. Awnkledan schwankte und hatte Mühe, die Höhe zu halten, und heftige Böen aus dem Norden ließen ihn kaum vorankommen. Schließlich warf er den Kopf zurück und rief über die Schulter hinweg: „Halt dich fest, Eðrik, leg dich fest auf mich und schließe die Augen! Der Wind treibt uns auf den Berg zu!“

Eðrik hatte kaum Zeit, den Anweisungen des Drachen zu folgen, als der erste Hitzeschwall ihn traf und ihm fast die Sinne raubte. Awnkledan ließ ein kurzes Grollen seiner Kehle entkommen, dann packte sie ein heftiger Windstoß von der Seite, und der Drache stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus, als eine zweite Bö ihn von hinten überraschte und seinen mächtigen Körper herumwirbelte, und dieser Schrei war das letzte, was Eðrik hörte, als er seinen Halt auf dem Rücken des Drachen verlor und hinabstürzte, auf Dalas Arm mit seinen scharfkantigen Felsen zu, umrahmt vom aufgepeitschten Meer.



Sanfte warme Luft streichelte ihn, als er wieder zu sich kam, und er saß halb liegend zwischen zwei mächtigen schwarzen Flügeln. Er richtete sich auf, und der Drache unter ihm stieß ein kurzes Grummeln aus. Links von ihm, etwas höher fliegend, erschien Awnkledan und schaute ihn mit blau funkelnden, besorgt aussehenden Augen an.

„Wie geht es dir, Bruder Zweibein? Er hat dich aufgefangen, ein paar Meter bevor du auf die Erde geprallt wärest. Geht es dir gut?“

„Ihm wird es schon gutgehen“, erklang Kaléms tiefe Bronzestimme unter ihm. „Ein Narr bist du, Grünblau, dass du zum Erdmund geflogen bist, wo der Ausgestoßene lebt. Hast du von ihm etwa Hilfe erwartet?“

Awnkledans Augen bekamen einen violetten Schimmer, und er knurrte leise.

„Lass das Kind“, erklang auf einmal rechts von Eðrik eine Stimme wie gegossenes Gold, und als er verwundert den Kopf wandte, sah er einen ebensolchen Drachen neben sich fliegen, genauso groß wie Kalém und mit zartgoldenen Schwingen, die in der Sonne flirrten. „Du und ich, wir kennen den Wind, uns kann er nicht mehr verletzen. Lass das Kind. Er ist jung und hat fast immer in seiner Höhle gelebt. Und er hatte ein Gewicht auf dem Rücken, wie du jetzt, Kalém, und sag mir nicht, dass du es nicht spürst.“

Darauf war Kalém still, und die drei Drachen glitten weiter etliche hundert Mann über einen ruhigen, blauschimmernden Teppich aus Wasser, auf dem sich vorwitzige Sonnenstrahlen brachen und der nichts von der grauen Wellenwüste zu wissen schien, die sich am feurigen Berg befunden hatte. Albatrosse gesellten sich zu ihnen, um im Windschatten der Drachen etwas auszuruhen. Die Luft wurde immer wärmer und sanfter, denn sie flogen mit unglaublicher Geschwindigkeit; dennoch schien der goldene Drache nicht außer Atem zu sein, sondern blickte oft zu Awnkledan hinüber und verlangsamte dann meist.

Die Sonne neigte sich langsam der Erde, als sie auf einen waldbewachsenen Küstenstreifen zuflogen, und Kalém landete etwas unbeholfen im weichen, weißen Sand des Strandes, wo sich Eðrik sofort von seinem Rücken rollen ließ. Warm war der Sand, fast heiß, durchglüht von den Sonnenstrahlen und reingewaschen vom Meer. Eðrik streckte sich aus und schloss die Augen. Er hörte, wie sich die drei Drachen leise auf ihrer Sprache unterhielten, doch schnell verstummte eine Stimme, und als er den Kopf leicht anhob, sah er Awnkledan tief schlafend auf dem hellen Sand liegen, die Schwanzspitze in der seichten Brandung.

Er rappelte sich auf die Füße und ging zu den anderen beiden hinüber, wobei er sich wohlig in der Sonne reckte. Der Goldene sah ihm entgegen und grunzte freundlich und streckte seine Flügelspitze nach ihm aus, um ihm sanft über den Kopf zu streichen. Kalém sah ihn nicht einmal an, sondern starrte in den Wald, der gleich hinter dem Strand begann.

„Such dir Muscheln, hungriges Zweibein“, sagte der Goldene mit seiner warmen Stimme. „Hier gibt es viele, und du musst essen. Dort hinten habe ich einen Bach gehört, wo du trinken kannst.“

Gehorsam folgte Eðrik den Anweisungen des riesigen Wesens, und nachdem er leidlich von Muscheln, Kräutern und Beeren gesättigt war, ging er hinüber zu Awnkledan und kuschelte sich unter seinen großen Flügel und lauschte den tiefen Atemzügen und dem gleichmäßigen, langsamen Pochen seines Herzens.


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