Berhailk der Hexer

2 - Wie Berhailk ein Hexerlehrling wurde

Berhailk fand sich im Frühling völlig alleine vor, denn die zwei Hirten, die ihn vor dem Tod in der Gefangenengrube seines Dorfes gerettet hatten, waren im Winter umgekommen, und er war eingeschneit gewesen, und so hatte er all das Vieh aufgegessen. Und als der Schnee endlich seine Höhle in den Bergen freigab, war der Wald durchzogen von Schmelzbächen, und vieles hatte sich verändert, und Berhailk wusste den Weg nicht mehr zurück ins besiedelte Ittar. In der Höhle bleiben konnte er ohne Essen aber auch nicht, also machte er sich tapfer auf den Weg dahin, wo er die Dörfer und Städtchen der Ittarer vermutete.

Er ging und ging recht lang, einen Tag und noch einen, Wege und Trampelpfade entlang, aber er hatte sich verirrt, denn er war weit im Süden von Ittar, wo er sich nicht auskannte. Im Vorbeigehen griff er sich durch den Frost sauer gewordene Elfenbeeren, die ihn eine Weile auf den Beinen hielten, aber am Abend des zweiten Tages war er hungrig und müde und beschloss, dass dies das Ende sei, und so legte er sich einfach auf eine kleine Kreuzung und wartete auf den Tod.

Statt ihr jedoch erschien ihm ein alter Bekannter, Enval nämlich, der selbst der Todesgöttin gegenüber unartig gewesen war und nun als trotziges Gespenst sein Dasein fristete. „Was, du gibst einfach so auf?“, knurrte er seinen alten, noch lebenden Freund an. „Da hättest du auch mit mir im Dorf verrecken können! Los, auf die Beine und den Wildpfad dort entlang, da findest du eine Hütte mit einem alten Mann darin.“

Benommen gehorchte Berhailk seinem Freund, auch wenn er ihn nur für eine Sinnestäuschung hielt; und nach etlichen Schritten den Trampelpfade entlang sah er wahrhaftig eine kleine Waldhütte, und sofort rannte er auf sie zu und klopfte hoffnungsvoll, und in der Tat wurde ihm die Tür geöffnet, und ein alter Mann schaute auf ihn hinab.

„Möge Euch die Erdmutter segnen“, sagte Berhailk und stellte sich vor, „ich bin ein armes Waisenkind auf der Suche nach Quartier und Arbeit. Könnt Ihr mir den Weg zum nächsten Dorf weisen?“

Der alte Mann aber war niemand anders als der furchtbare Hexer Kaniark, der Hexerkönig von Süd-Ittar, der seit Jahrzehnten den Landstrich in Angst und Schrecken versetzte und von allen dort Lebenden Tribut verlangte; und wenn sie ihn nicht zahlen konnten, dann raubte er ihnen die schönsten Mädchen und nahm sie in seine Hütte, und nach drei Jahren ließ er sie wieder frei, und dann kehrten sie als alte, weisshaarige und müde Frauen an den Herd ihrer Eltern zurück und starben bald. Denn man sagt, dass Kaniark ihnen die Jugend aussaugte, um selbst sein Leben zu verlängern. Davon aber wusste Berhailk nichts, denn er kam aus einer anderen Gegend Ittars.

Kaniark nun schaute den verwahrlosten Burschen an, der vor ihm stand und um Hilfe bat, und überlegte sich wohl, dass er in seinem Alter wohl eine helfende Hand in seiner Hütte brauchen könnte, denn er schickte ihn nicht fort, sondern bat ihn auf ein gutes Essen hinein, und Berhailk nahm natürlich dankbar an. Hinterher durfte er sich im Brunnen des Hexers waschen, und dann brachte ihm Kaniark frische Kleidung, über die sich Berhailk sehr freute nach dem langen Winter in der Höhle. Er konnte ja nicht wissen, dass er sich an den Hexer gebunden hatte, nachdem er von seinem Essen gekostet, sich mit seinem Wasser gewaschen und nun auch noch seine geborgte Kleidung angezogen hatte, denn Hexerei ist ja eine finstere Kunst, die verschlagen und hinterrücks wirkt.

Dann gingen die zwei wieder in die Hütte und saßen am warmen Feuer, und Berhailk erzählte dem Alten von seinem Schicksal, und Kaniark überlegte sich, dass es ein flinker Bursche sein musste, der all dies überlebt hatte.

Also sagte er: „In Ittar wirst du wohl kaum eine Anstellung finden, denn die Yandier waren fast überall und haben viel Armut hinterlassen, und wer einen Lehrling sucht, der nimmt seinen Neffen oder Schwager, aber keine dahergelaufene Waise. Ich aber könnte einen Lehrburschen gebrauchen, wenn du magst.“

„Was könnt Ihr mich denn lehren?“, fragte Berhailk skeptisch, denn er hielt den Alten für einen ausgestoßenen Einsiedler, einen Verbrecher vielleicht, den kein Dorf mehr beherbergen wollte.

Kaniark lachte. „Ich kann dich lehren, wie man die Todesgöttin fernhält, wie man die Ernten der Bauern verdirbt und Hagelstürme ruft, so dass sie einem Tribut zahlen; ich kann dich lehren, wie man das Schicksal von Menschen erfährt, und auch, wie man hungrigen, streunenden Waisenkindern immer anständig Grütze in den Magen gibt.“

Da wusste Berhailk, dass er es mit einem Hexer zu tun hatte. Er dachte einen Moment darüber nach und zuckte dann die Achseln. „Was habe ich für eine Wahl?“, meinte er schließlich. „Hexerei ist ein Handwerk wie jedes andere auch, und mir scheint, dass es einträglicher ist als manch anderes.“

„Das hast du wahrhaft richtig erkannt“, lachte der alte Hexer, und dann nahm er Berhailk den Treueschwur der Lehrlinge ab, aber anstatt heiliger Eberesche nahm er dafür einen verkohlten Schlehenzweig, und das Rußzeichen auf Berhailks Stirn brannte sich tief ein und ging nicht fort, solange er der Lehrjunge war.

So wurde Berhailk zum einzigen Lehrling, den der mächtige Hexer Kaniark jemals zu sich nahm.


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