Der Hexer Kaniark ließ den Berhailk erstmal kräftig schuften: die Hütte sollte er ausbessern, die vom Winter übel angeschlagen war, und dann sollte er einen Zaun setzen auf der Wiese neben der Hütte, und einen Stall sollte er bauen, und dies und das andere und überhaupt, und so war der Bursche tagaus, tagein am Schuften und Ackern und lernte nicht ein bisschen über Hexerei. Aber was konnte er als Lehrjunge schon dagegen sagen? Also machte er seine Arbeit, sank abends erschöpft auf sein Lager auf dem Boden der Hütte vor dem Bett des Hexers und verwünschte sich, dass er sich auf diese Lehrstelle eingelassen hatte.
Der Frühling breitete sich also aus, die Vögel sangen, der Wald wurde immer grüner, die Luft immer sanfter, und schließlich glänzte die verfallene Hütte in neuem Lichte, und Kaniark ließ sich zu einem „Naja, nicht schlecht gemacht“ herab. Und am nächsten Tag weckte er Berhailk in aller Frühe, und die zwei machten sich auf den Weg ins nächste Dorf.
Das war ein gutes Stück weit weg von der Hütte, aber gegen Mittag kamen sie da an, und die Leute erkannten sogleich, wer sie da besuchte, und versteckten ihre hübschen Töchter und hasteten in ihre Häuser. Aber Kaniark ging einfach von Haus zu Haus und öffnete die Türen, ließ sich selbst hinein, trank etwas vom Bier des Hausherren und plauderte mit der Hausfrau, und bat dann freundlichst um eine kleine Gabe, weil doch ein alter Mann und sein Lehrjunge Vieh bräuchten. Und die Neugierigen, die Berhailk zuerst mit großen Augen angestarrt hatten, mochten ihn plötzlich überhaupt nicht mehr sehen und verzogen sich schnell.
So holte sich Kaniark aus jedem Haus so einiges zusammen, und am Nachmittag trieb Berhailk mit Hilfe eines schwarzen Hundes etliche Ziegen und Schafe durch den Wald zur Hütte, und am nächsten Tag würde ein Bauer kommen mit Vorräten und allerlei Dingen.
Und Kaniark hatte für all das nicht einen Zauberspruch gebraucht.
„Das Geheimnis von Macht“, so erklärte er Berhailk am Abend bei einem frischen Schweineschnitzel, „ist nicht, den Leuten andauernd zu zeigen, was du tun kannst. Zeig es ihnen ein, zwei Mal, dann verstehen sie, wer das Sagen hat; und von da an machen sie dich in ihrem Getratsche mächtiger, als es die Götter je sein könnten.“ Er lachte und schlug Berhailk auf die Schulter. „Was nicht heissen soll, dass du versuchen solltest, meine Macht kennenzulernen. Du bist ein schlauer Bursche, also fordere mich nicht heraus.“
„Das werde ich nicht“, sagte Berhailk hastig.
„Doch, das wirst du.“ Kaniark lachte. „Und wie alle vor dir wirst du dir die Finger verbrennen. Jetzt iss auf und schlafe, morgen hast du viel zu tun – ich bleibe hier und warte auf die Lieferung aus dem Dorf, und du musst in das nächste Dorf und weiter einkaufen.“
Einkaufen, dachte Berhailk wütend auf seinem Lager vor Kaniarks Bett, der hat gut reden, Diebstahl ist das, gemeiner Diebstahl, so was hätte ja nicht einmal Envals Vater gemacht!
„Du sollst schlafen, nicht denken“, wies ihn Kaniark mit einem Kichern zurecht, und so versuchte Berhailk, genau das zu tun.
Nach und nach lehrte Kaniark seinem Lehrling so allerlei, vor allem die Erpressung von Vieh und anderen Dingen, und wie man auch bei knurrendem Magen und hundemüde richtig schuftet. Aber als der Herbst kam und die Nächte lang wurden und Stürme ums Haus pfiffen, da konnte er Berhailk nicht mehr laufend vor die Tür schicken und war gezwungen, ihm doch anständige Hexerei beizubringen. Und das tat er dann auch, widerwillig aber pflichtbewusst: wie man Runen wirft und liest, und einige der magischen Namen dieser Kunst, vor allem aber den Gebrauch des Drachenknochens, ohne den ein Hexer kein Hexer ist. Nun hatte Berhailk keinen Drachenknochen, dafür aber Kaniark, und er hatte sogar einen sehr guten und mächtigen und Berhailk setzte damit bei seinen ersten Hexereiversuchen die Hütte in Brand oder deckte das Dach ab, aber er war doch recht geschickt und solche Unfälle wurden mit der Zeit seltener.
Der Winter kam und ging endlich wieder, und im Frühjahr schickte Kaniark seinen Lehrburschen auf die Dörfer, um seinen Tribut einzufordern wie im Jahr zuvor. Aber Berhailk hatte noch nicht vergessen, dass er bis vor kurzen in genauso einem kleinen Dorf gelebt hatte wie die, die er jetzt ausplündern sollte; also stibitzte er vor seinem Weggang den Drachenknochen seines Meisters und schlenderte dann den Weg entlang zum ersten Dorf; anstatt dort jedoch an die Türen zu klopfen und Vieh und Gut zu verlangen, ging er abseits in den Wald und zauberte dort mit dem Drachenknochen eine schöne Herde Schweine und einen Karren mit Stoff und allerlei anderen Dingen, und am Abend zog er den Karren heim und brachte die hergezauberten Schweine in den Stall und die gezauberten guten Sachen in die Hütte.
„Ging alles gut?“, fragte Kaniark, als er Berhailk seine Schüssel Grütze vorsetzte.
„Och ja, kann nicht meckern, die haben mich ja letztes Jahr mit dir gesehen und wissen, dass ich dein Lehrjunge bin.“
„Und, hast du hübsche Mädels gesehen?“
„Och, nicht viele, die haben sie wohl versteckt gehalten.“
„Ich denke, wenn du im Dorf gewesen wärst, hättest du wenigstens ein paar gesehen“, sagte Kaniark da, und plötzlich verwandelten sich all die schönen Dinge, die Berhailk angeschleppt hatte, in das Nichts zurück, das sie waren. „Solche Zauberei hält immer nur bis zum Sonnenuntergang“, fuhr Kaniark kalt lächelnd fort, „was du in einer der nächsten Lektionen gelernt hättest. Gib mir den Knochen. Du hast doch nicht wirklich geglaubt, ich würde den Diebstahl nicht bemerken?“
Berhailk starrte Kaniark an und zog schließlich den Drachenknochen hervor und gab ihn seinem Meister zurück.
„Weisst du noch, wie du gesagt hast, du würdest mich nie herausfordern? Ich wusste, dass du das tun würdest. Und sicher wirst du es wieder tun. Ich hoffe allerdings, dass du das nächste Mal gut überlegst, ob es den Aufwand wert ist.“ Damit richtete Kaniark den Knochen auf Berhailk, und die nächste Woche verbrachte Berhailk im Stall als Hütehund, und Kaniark machte es diebischen Spass, ihn nur mit den vergammelsten Abfällen zu füttern, die er finden konnte, während er selbst über die Dörfer ging und seine Abgaben einsammelte.
Am Ende der Woche verwandelte er Berhailk zurück und befahl ihm, die neuen Güter einzusortieren, und Berhailk gehorchte wortlos, und sie sprachen nicht mehr über den Vorfall.
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