Ich war leicht verwirrt, als es an meiner Hintertür klopfte. Das ist schließlich auch etwas unüblich, nicht wahr? Normale Menschen klingeln doch an der Vordertür. Jedenfalls hat bei mir noch niemand im Garten geparkt.
Daher zögerte ich einen Moment, bevor ich mich auf den Weg machte. Es war immerhin schon fast Mitternacht, da ist man vorsichtig, wen man in sein Haus lässt. Als sich das Klopfen jedoch immer heftiger wiederholte, erhob ich mich aus meinem Fernsehsessel und ging zur Tür. Durch das krisselige Glas konnte ich nicht viel erkennen, trotzdem raffte ich meinen Mut zusammen und schloss auf. Vorsichtig öffnete ich die Tür einen Spalt und lugte nach draußen.
„Bitte, dürfte ich hineinkommen?”, fragte mich der Elf, der da vor meiner Tür im strömenden Juniregen stand.
Etwas verdattert starrte ich in das von triefnassen Haaren umrahmte Gesicht. „Äh - wie bitte?”, war das einzige, was ich als Antwort herausbekam.
„Ob ich bitte hineinkommen könnte? Es ist ziemlich kalt hier nachts im Regen, weißt du?”
Nachdem ich den Elfen noch zwei Sekunden lang angestarrt hatte, öffnete ich die Tür ganz. „Oh, ja, sicher, kein Pro-”
„Danke sehr!”, schnurrte der Elf und schob sich an mir vorbei ins Trockene. Verdattert schloss ich meine Hintertür wieder ab, allerdings nicht, ohne vorher meinen Garten auf eventuell vorhandene Freunde meines nächtlichen Besuchers abzusuchen.
Der Elf hatte sich währenddessen in meine Küche begeben und bediente sich an meinem Gouda. „Mmmh!”, machte er, als er den Kühlschrank schloss. „Leckeres Zeug, ehrlich! Ihr Menschen seit doch gastfreundlicher, als man allgemein so sagt.” Ich wollte gerade erwidern, dass ich ihn keineswegs zur Vernichtung meiner Käsevorräte eingeladen hatte, als der Elf abermals den Kühlschrank öffnete, eine Milchtüte hervorzog und sie sich an die Lippen setzte.
„Oh, Moment, entschuldige”, murmelte ich und holte ein Glas aus dem Küchenschrank.
„Danke sehr”, sagte der Elf artig und steckte das Glas in eine kleine Felltasche, die er um die Schulter gehängt trug, wonach er einen kräftigen Schluck aus der Milchtüte nahm und sie mit einem lauten „Aaaah!” in den Kühlschrank zurückstellte. Mir wurde bewusst, das zwischen uns ein massiver Kulturkonflikt bestand.
Der Elf setze sich auf einen der Küchenstühle und musterte mich eindringlich. Ich nutzte die Pause, um meine Gedanken zu sortieren, und setzte mich ihm gegenüber an den Tisch. Dabei fiel mir auf, dass sich auf dem Linoleum zu seinen Füßen eine kleine Pfütze zu bilden begann. Erschrocken sprang ich wieder auf. „Ach je, ich bin aber auch ein Dussel!”, rief ich aus, rannte ins Badezimmer und kam atemlos mit zwei Handtüchern zurück.
Die dunklen Augen des Elfen leuchteten auf. „Genau das, was ich brauche”, bemerkte er zufrieden. Damit griff er nach einem Handtuch und begann, seine Haare durchzufrottieren. Etwas verlegen hängte ich ihm das andere Handtuch um die Schultern. Nachdem der Elf seine Haare zu seiner Zufriedenheit getrocknet hatte, ließ er das Tuch fallen und widmete sich wieder seiner Erkundigung meiner Erscheinung, was mich sehr nervös machte.
„Ich möchte ja nicht unhöflich sein, aber was machst du - Sie - ich meine - es ist ja immerhin schon spät und -”
„Kann man das essen?”, fragte der Elf und deutete auf meine Butterschale.
„Das ist Butter”, war meine intelligente Antwort.
Der Elf schaute mich mit großen, geduldigen Augen an. „Kann man das essen?”, wiederholte er langsam und deutlich.
Mechanisch nickte ich. „Aber”, sagte ich schnell, als er danach griff, „eigentlich schmiert man das auf Brot.”
„Oh”, machte der Elf und zog seine Hand zurück, „warum?”
„Nun, es schmeckt gut, und außerdem klebt der Käse dann besser dran und fällt nicht runter.” Ich kam mir auf Grund dieser Antwort ziemlich doof vor und hätte mich am liebsten geschlagen. Dem Elfen erschien diese Erklärung jedoch ziemlich einleuchtend.
„Hast du mal Brot, damit ich das ausprobieren kann?”, fragte er.
„Sicher, da oben im Schrank”, wies ich ihn an. Ich hatte mich mittlerweile einigermaßen gefangen und holte ihm einen Teller und ein Messer sowie die vorletzte Goudascheibe. Während der Elf konzentriert eine Scheibe Brot mit der Brotschneidemaschine abschnitt, brachte ich die nassen Handtücher zurück ins Badezimmer und holte einen Trainingsanzug, damit mein Gast seinen nassen Klamotten loswerden konnte.
Als ich zurückkam, untersuchte der Elf gerade ausgiebig das Messer. Ich schaute ihn fragend an. „Muss man das nehmen, oder geht das auch mit dem hier?” fragte er, wobei er einen kleinen Dolch aus behauenem Feuerstein hervorzauberte.
„Sicher geht das auch, aber wieso?”, erkundigte ich mich. Der Elf zuckte nur mit den Schultern und begann, sein Brot mit dem Steindolch zu buttern. (Elfen mögen kein Eisen, noch weniger Stahl, aber das fiel mir an diesem Abend um 0:23 Uhr nicht ein. Schlagt mich, aber ich halte die Uhrzeit für eine gute Entschuldigung!)
Ein Blick in das genießerische Gesicht des Elfen, der den ersten Bissen des Käsebrotes durchkaute, vertrieb den Rest meiner Scheu.
„Entschuldige die Frage, aber was machst du eigentlich hier in meiner Küche?”, fragte ich. Die dunklen Augen schauten mich kritisch an. „Jetzt sag nicht, dass du isst”, beeilte ich mich hinzuzufügen. „Was ich meinte, war, wieso bist du hier?”
„Es ist doch so nass draußen”, sagte der Elf mit einem mitleiderregenden Augenaufschlag. „Ich will zum Mittsommerfest, und da bin ich irgendwie hergekommen, und jetzt weiß ich nicht mehr, wo ich bin.”
„Nun, du bist bei mir”, antwortete ich trocken.
Mein Gast schaute sich um, wobei seine Augen aufstrahlten. „Stimmt!”, sagte er begeistert.
Zufrieden stellte ich fest, dass ich langsam durch seine Logiken hindurchfand. Daher bohrte ich weiter: „Und wo willst du hin?”
Die Augen verengten sich etwas, als der Elf mit vernichtender Langsamkeit erklärte: „Zum Mittsommerfest.”
Mir schoss das Blut ins Gesicht, und aus irgendeinem Grund fiel mir ein altes Sprichwort ein: Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben ... So schnell wollte ich mich jedoch nicht entmutigen lassen und fragte tapfer: „Wo ist das denn, das Fest?”
Am Gesichtsausdruck des Elfen erkannte ich, dass er mich nun vollends für beschränkt hielt. Er atmete ruhig ein und aus und sagte dann sehr langsam, wie ein geduldiger Erwachsener zu einem Kind: „Im Wald.”
„Das habe ich mir schon gedacht, dass es nicht im meinem Garten ist”, sagte ich wütend darüber, dass er mich für dämlich hielt, „aber wo, ich meine in welchem Wald ist es?”
Der Elf schaute mich verständnislos an. „Im Wald halt”, meinte er. „Wenn ich erst mal wieder im Wald bin, finde ich das Fest auch.”
„Na, dann ist es ja gut”, sagte ich beruhigt. „Willst du noch Käse?”
„Nein, danke”, sagte der Elf artig, „aber Erdbeeren wären gut, danke sehr.” Leicht gereizt gab ich ihm die Schale mit meinen ersten Gartenerdbeeren und sah zu, wie sie verschwanden.
Draußen prasselte noch immer der Regen auf den Boden. Das Geräusch mischte sich mit dem Ticken der Küchenuhr zu einem sehr einschläfernden Rhythmus. Anscheinend empfand nicht nur ich so, denn der Elf gähnte, als gälte es, ein Pferd zu verschlingen. Dies und seine traurige, nasse und verwirrte Erscheinung weckte wohl so was wie meine Mutterinstinkte und veranlassten mich, ihm für die Nacht meine Couch im Wohnzimmer anzubieten. Die dunklen Augen leuchteten abermals auf. Er sah richtig drollig aus, wenn er das machte!
„Das würdest du mir erlauben?”, fragte er ungläubig, sprang auf und gab mir einen dicken Schmatzer auf die rechte Wange. „Oh, das ist nett, sooooo nett von dir, danke, danke, danke!” Und zack! hatte ich auch links einen sitzen.
Ich sprang hastig auf und schob den Elfen etwas verlegen auf sichere Distanz. „Ist ja gut, ist doch alles kein Problem”, murmelte ich. „Ich hole nur schnell eine Decke und dann geht das, ist doch kein Aufwand...” So versorgte ich meinen Gast, gab ihm auch den Trainingsanzug und legte mich dann selber schlafen.
Ich erwachte gegen etwa 10:30 Uhr, da ich in meiner nächtlichen Verwirrung vergessen hatte, meinen Wecker zu stellen, und war äußerst dankbar für die Tatsache, dass Samstag war. Müde stand ich auf, schlüpfte in meinen Morgenmantel und ging ins Wohnzimmer, um nach meinem Gast zu schauen. Der Trainingsanzug hing über der Lehne meines Fernsehsessels, die Decke lag sauber zusammengefaltet und mit einem Gänseblümchen verziert auf der Couch. Der Elf war offensichtlich gegangen.
Ich begab mich also in die Küche, um meinen morgendlichen Tee aufzubrühen. Auf dem Küchentisch fand ich meine Zeitung, die mit Filzstift verziert war.
„Danke”, las ich, „ich hab noch Käse mitgenommen. Bis nächstes Jahr! Bussard.”
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