Eğrik Dayilkishal

Eğrik der Drachenherr

11: Die Inseln des Südens

Tage am Himmel und Nächte auf Inseln und Schären verstrichen, als sich der Drache und sein Reiter gen Süden wandten, um dort nach Silberblau zu suchen. Mit jeder Meile, die Awnkledan flog, wurde die Luft milder und der Wind sanfter. An den Stränden fand Eðrik nun ihm unbekannte Krebsarten, und seltsame Pflanzen überwucherten die Inseln, die allesamt unbewohnt waren. Daher verlängerte sich ihre Reise: sie konnten getrost jede einzelne Insel tief überfliegen, ohne Angst zu haben, dass sich Menschen erschrecken könnten; und außerdem waren die meisten Inseln von dichten Wäldern überwuchert waren, die durchaus einen Drachen verbergen konnten, so dass die zwei Suchenden genau nachschauen mussten.

Doch trotz der genauen Suche vergingen viele Tage, ohne dass sie auch nur einen Drachen getroffen hätten.

An einem späten, warmen Abend erreichte Awnkledan eine sehr große Insel, in deren Mitte sich ein Berg erhob. Aus dem Innern des Berges glomm rote Glut in den Abendhimmel und schien sich mit dem Feuer der untergehenden Sonne zu verbinden.

„Ein weiterer Feuerberg“, lächelte Awnkledan Eðrik zu, als dieser von seinem Rücken auf den weichen, warmen Sand des Strandes sprang, „ich hoffe nur, dass sein Bewohner freundlicher ist als der vom Irdena, wenn es denn einen Bewohner hier gibt.“

„Das werden wir morgen herausfinden“, gab Eðrik zurück und gähnte, während er sich umschaute, um einen geeigneten Schlafplatz zu finden.

Am nächsten Morgen wurde Eðrik von Stimmen geweckt.

„Aber wie sonst soll der Mensch hierher gekommen sein?“, sagte eine von ihnen.

„Vielleicht ist er geschwommen?“, meinte eine andere.

„Niemand schwimmt hierher, kein Mensch jedenfalls“, sagte die erste Stimme wieder.

„Nun ja, jedenfalls fliegt auch kein Mensch auf dem Rücken eines Drachens durch die Gegend“, gab die zweite Stimme zurück.

Eðrik setzte sich auf und wandte sich den Stimmen zu und war nicht schlecht überrascht, zwei recht kleine und zierliche Wesen vor sich stehen zu sehen, die ein wenig so aussahen wie die Elfen aus den Sagen seiner Heimat, nur dass sie nicht in Leder gekleidet waren, sondern in locker fallende, gewebte Kleidung von graubrauner Farbe. Ihre Haut und ihr welliges Haar waren bräunlich, ebenso wie ihre Augen, mit denen sie Eðrik skeptisch betrachteten.

„Guten Morgen, Blondschopf“, sagte einer von ihnen, und Eðrik erkannte die erste Stimme wieder.

„Guten Morgen, und Verzeihung, falls ich Euer Gebiet ohne Erlaubnis betreten habe“, antwortete Eðrik.

„Dies ist nicht unser Gebiet. Wir suchen nur nach Holz für unsere Flöße“, gab das Wesen zurück, und Eðrik war sich nun ziemlich sicher, dass es ein Mann war, auch wenn er kleiner und zierlicher war als alle Frauen aus Eðriks Volk.

„Nun, wir ruhen uns hier bloß aus auf unserer Reise“, antwortete Eðrik, „und sicher brechen wir bald wieder auf, sobald mein geflügelter Bruder hier wach ist.“ Denn Awnkledan schlief noch immer fest auf der Wiese am Strand, die sie zu ihrem Schlafplatz erklärt hatten.

„Dann bist du wirklich mit dem Drachen unterwegs?“, fragte das zweite Wesen ungläubig.

„Ja, das bin ich. Wir suchen eine silberblaue Drachin, habt ihr sie gesehen?“

Die beiden Wesen sahen sich an und schüttelten dann den Kopf. „Wir kommen nicht oft in die Nähe von Land“, erklärte das erste Wesen, „und Drachen wohnen selten auf der offenen See.“

Awnkledan grunzte und begann, sich zu räkeln, und die beiden Wesen wichen vorsichtig ein paar Schritte zurück.

„Guten Morgen, geflügelter Bruder“, lächelte Eðrik, als er sah, wie sich eines der großen Drachenaugen öffnete.

„Guten Morgen, Bruder Zweibein“, brummelte Awnkledan verschlafen, „und ein schöner Morgen ist es mit warmem Wind. Die Reise wird heute angenehm werden.“

„Und voller Überraschungen, Bruder Windreiter“, gab Eðrik zurück und zeigte auf die beiden verunsicherten Wesen.

Awnkledan blinzelte sie an, doch dann weiteten sich seine Augen mit Überraschung. „Meereselfen!“, rief er aus und erhob sich endlich, breitete die Flügel aus und reckte sie beeindruckend. „Welch Ehre, dass ich Euch treffe. Ich habe viel von Eurem Volk gehört.“

„Auch wir haben viel über Drachen gehört“, sagte der erste Meereself etwas schüchtern, „und auch wir sind geehrt.“

„Da wir nun alle geehrt sind“, lächelte Awnkledan, „wie wäre es mit Frühstück?“

Am Abend zuvor hatte Eðrik noch einige Muscheln und Krabben gesammelt und Awnkledan hatte am Strand einen gerade erst verendeten Seehund gefunden, und so machten sich die zwei Reisenden über ihre Mahlzeit her, während die beiden Meereselfen höflich warteten.

„Hier gibt es keine Drachen“, sagte der zweite Elf schließlich, „ich habe jedenfalls noch nie einen gesehen.“

„Hier gibt es nur die Meeresdrachen, die Großen Wanderer in den Ozeanen“, stimmte der erste Elf zu.

„Von ihnen habe ich gehört“, sagte Awnkledan, „sie fliegen im Wasser wie mein Volk in der Luft. Aber sagt, wisst ihr vielleicht, wo sie Drachen aufhalten könnten?“

„Nein“, sagten die Elfen und schüttelten ihre Köpfe. „Aber vielleicht weiß Großmutter es“, meinte der erste Elf, „sie kennt die Meere und Länder hier wie niemand sonst.“

„Wo ist denn diese Großmutter?“, fragte Eðrik.

„In unserem Dorf. Kommt mit“, sagte der zweite Elf, „wir bringen euch hin.“

„Wenn Drachen schwimmen können“, meinte der erste Elf etwas skeptisch, „ich habe gehört, euer Feuer verlöscht im Wasser.“

„Da mach dir mal keine Sorgen“, antwortete Awnkledan und seine Augen blitzten auf mit einem Lächeln, „wir schwimmen nicht so gut wie Meeresdrachen, doch besser als so mancher Mensch.“

Also erklomm Eðrik den Rücken seines Freundes und dieser schwang sich in die Luft, während die beiden Meereselfen zu dem kleinen Boot liefen, das am Strand lag, und es ins Wasser schoben. Es war etwas mühselig, den Elfen zu folgen, da sie langsamer ruderten als ein Drache fliegen kann, und so flog Awnkledan oft etwas voraus oder zurück, drehte Schleifen und spielte mit der Luft, was Eðrik gut gefiel. Er konnte sich gar nicht mehr vorstellen, nicht zu wissen, wie es sich anfühlt, sein Leben dem Wind anzuvertrauen.

Nach einer Weile schaute Awnkledan nach vorne und sagte dann zu Eðrik: „Ich glaube, ich sehe dieses Dorf bereits. Es ist auf dem Meer gebaut und schwimmt.“

„Können wir nicht einfach vorausfliegen?“, fragte Eðrik ungeduldig.

Aber Awnkledan entschied, dass es besser war, auf die beiden Elfen zu warten, damit ihr Volk nicht erschrak, wenn plötzlich ein Drache neben ihrem Dorf aufs Wasser platschte.

So dauerte es noch eine Stunde, bis sie endlich landen konnten, und obwohl Awnkledan vorsichtig war, wurde Eðrik doch recht durchgeweicht bei der Landung, was jedoch im warmem Wasser nicht so schlimm war. Er erklomm eines der Flöße, die dicht nebeneinander lagen und mit Tauen verbunden waren, schüttelte das Wasser ab und schaute hinunter auf die neugierigen Meereselfen.

Der zweite Elf trat vor. „Mein Bruder spricht gerade mit der Großmutter“, sagte er. „Ich bin übrigens Talidin.“

Eðrik nannte seinen Namen und nahm dankbar einen Becher mit Wasser entgegen, den ihm ein Meereselfenkind reichte. Kaum hatte er es geleert, da kam auch schon Talidins Bruder mit der Großmutter über die Flöße gesprungen.

„Gruß Euch Wanderern“, sagte die Großmutter, die keinen Tag älter aussah als Talidin, „auf der Suche nach Drachen, so hörte ich?“

„Das ist wahr“, erwiderte Awnkledan.

„Ich habe in der Tat vor einiger Zeit gehört, dass drei Drachen etwas weiter südwestlich gesehen worden sind, und einer von ihnen soll wahrhaftig von silberblauer Farbe gewesen sein“, berichtete die Großmutter, „allerdings ist dies schon drei oder vier Monde zurück.“

„Könnt Ihr uns beschreiben, wo sie gesehen wurden?“, fragte Awnkledan.

„Es ist eine kleine Insel, die einzige in der Gegend“, gab die Großmutter zurück und beschrieb anhand der Sterne und Winde den Weg zu dieser Insel.

„Wir danken Euch“, sagte Eðrik und verbeugte sich. „Und ohne unhöflich sein zu wollen, müssen wir uns doch gleich verabschieden und uns auf den Weg machen, denn die Suche dauert nun schon lange und wir hoffen, dass sie bald vorbei ist.“

Sie tauschten noch einige freundliche Worte und machten sich dann auf den Weg nach Südwesten, wobei sie ein freundlicher Wind sanft unterstützte. Unter ihnen erstreckte sich meilenweit nur das offene, friedliche Meer, durchzogen von Korallenriffen; doch gen Abend, als es schon recht dunkel war, erspähte Awnkledan am Horizont den Schatten von Land, und so erreichten sie in der Nacht doch noch Festland und mussten nicht in der Luft oder auf dem Wasser schlafen, sonder auf einem warmen, weißen Strand.


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